Ehrlich gesagt....Ich will Hilfe, ja, aber gleichzeitig habe
ich irgendwie Angst davor. Es ist nicht so, dass ich meine Essstörung toll
finde, ganz im Gegenteil, aber wenn ich mir vorstelle, was mir bliebe, wenn man
mir alles, was ich liebe, nehmen würde...Das einzige, was ich dann noch hätte
wäre meine Essstörung. Egal, wie sehr mich das kaputt macht, sie geht
inzwischen zu meinem Leben, sie ist ein Teil von mir. Es wäre ungefähr so, als
würde ich ein Bein oder mein halbes Herz hergeben. So zu leben wäre anfangs
nahezu unmöglich, ich müsste mich dran gewöhnen, mir alternativen suchen. Klar,
der Vergleich hinkt jetzt wahrscheinlich ein bisschen, aber so ungefähr stelle
ich mir das nun mal vor. Mir würde die Routine fehlen. Mir würde es fehlen, in
den Kühlschrank - oder auf Essen generell - zu starren und meinen Kopf mit
Zahlen zu füllen. Mir würde das mir selbst erlegte Verbot fehlen. Es würde mir
fehlen, in Restaurants die Speisekarten zu durchforsten, auf der Suche nach dem
Essen, dass mir zwar schmeckt, aber dennoch recht wenig Kalorien hat. Es würde
mir fehlen, durch den Supermarkt zu streifen, das Essen zu betrachten und am
Ende mit Diätcola und vielleicht Kaugummi - wenn überhaupt - wieder raus
zugehen und mich gut zu fühlen. Mir würde das Gefühl fehlen, etwas zu schaffen,
obwohl ich weiß, dass es eigentlich falsch ist. Es würde mir fehlen, mich
selbst zu testen. Ich würde viel mehr Zeit haben. Zeit, die ich mit Sport, dem
Auswendiglernen von Kalorien, [...] verbracht habe. Was macht man mit der freien Zeit? Lernen? Das
tu ich schon, wenn ich nicht vorher erwähntes tue. Lesen? Wer sagt denn, dass
ich dann überhaupt noch Spaß am Lesen habe? Mit Freunden treffen? Möglich, wenn
ich denn dann überhaupt noch Freunde habe. Klar, ich könnte auch Zeit mit
meinem Freund verbringen - den ich zurzeit nicht habe und ich denke nicht, dass
ich 24/7 einen "zur Verfügung" habe, weil ich eben nicht zu diesen
"Ich kann alle haben (und nutze das aus"-Mädchen gehöre, sondern eher
zu denen, die man gerne übersieht, die aber trotzdem von allen anderen hören
"Mich wunderts, dass du noch keinen abgekriegt hast". Wie man
sieht, die Magersucht macht schon eine Menge in meinem Leben aus.
Verschwendetes Leben (also, nicht im Sinne von "Mein Leben ist
sinnlos"; vielleicht weißt du, was ich meine?), das - sobald ich wieder
gesund wäre - mir wie überflüssige Zeit vorkäme, ich könnte damit einfach
nichts anfangen, zumindest anfangs nicht. Klar, Alternativen gibt es immer,
aber jetzt? Jetzt, in diesem Moment, fällt mir keine ein. Und selbst wenn: Wer
sagt denn, dass ich dann auch noch Lust darauf habe? Niemand. Weil es eben
niemand weiß.
Mir ist durchaus bewusst, dass das alles vielleicht komisch klingen mag, aber vielleicht kann das irgendjemand irgendwie nachvollziehen?
Seit meiner Diagnose fühle ich mich übrigens irgendwie anders. Als wäre ich ein anderer Mensch, zumindest teilweise. Dieses Gefühl wird in Gegenwart von meinen Eltern - oder zumindest in Gegenwart von einem der beiden - verstärkt, weil ich das Gefühl habe, die Klischees ("Ich ess das nicht, da ist zu viel Fett dran!"; extrem wenig essen, Essen wiegen, etc.) erfüllen zu müssen. Glücklicherweise ist meine Schwester noch da, die (bisher) nichts von dem Ganzen weiß und solange werden diese Klischees wegfallen, weil ich nicht will, dass meine Schwester etwas davon erfährt, beziehungsweise erst dann, wenn es nicht mehr anders geht. Vielleicht hört es sich seltsam an, aber ich suche regelrecht eine Entschuldigung, zwischendrin was kleines (wenn auch Kalorienarmes) zu essen und dafür muss ich - wohl oder übel - meine Schwester benutzen. Trotz - oder gerade wegen - der Diagnose komme ich mir mehr denn je wie eines dieser Möchtegern-Mädchen vor und das bringt mich um. Ich glaube, dieses "Ich bin nicht wirklich essgestört"-Gefühl hätte ich vermutlich sogar dann, wenn man mich stationär behandeln (meine Mutter hat mich angefleht, das nicht zu tun, obwohl es irgendwie eine Erfahrung wert wäre. Und ich würde auch mal der Schule entfliehen, das einzige, was wahrscheinlich immer dagegen sprechen wird, ist das Zunehmen) würde.
Ich kann dich schon verstehen. Hat die Ärztin dir denn die Diagnose gegeben? In deinem letzten Post hast du ja geschrieben, dass sie dich gefragt hat, ob dir dein Gewicht zu schaffen macht...
AntwortenLöschenIch denke, dieses "ich bin nicht krank"-Denken ist doch nur ein weiteres Zeichen einer Essstörung. Ich Glaube, wenn ich in deiner Situation wäre, hätte ich auch dieses "Möchtegern" Gefühl. Obwohl das bei dir auf keinen fall so ist.
Hey Liebes <3
AntwortenLöschenAlso ich kann dich da schon verstehen, ich denke mir immer "Was wäre ich denn ohne meine ES?" und mir fehlt mein Verhalten regelrecht, also das von vor einiger Zeit noch, wo ich Sport und gefastet hab. Aber ich denke, das macht unsere Krankheit aus, dass wir es ohne sie einfach nicht mehr vorstellen können und derart abhängig und süchtig (es heißt ja auch MagerSUCHT) sind. Dass wir das Gefühl haben "nicht krank genug zu sein", denn das ist ja ebenfalls die Stimme der Krankheit, die uns dadurch nur stärker an sie binden will.
Und ich finde es sehr stark von dir, kleine ZMs zu essen, wenn auch kalorienarm, denn das ist ja schon mal etwas! Wirklich, das ist großartig!
Meine Therapeutin stellte mir Montag die Frage "Was wäre eigentlich wenn du deine ES los wärst?" Ich wusste keine Antwort, so viel freie Zeit, glücklich sein, einfach essen, das Leben genießen - das was normal ist, kann ich mir einfach nicht mehr vorstellen.
Aber stell dir mal das Gegenteil vor von dem was du vermisst: du hast mehr Zeit für Freunde, die Menschen, die dir wichtig sind; du würdest dich selber mögen und wohlfühlen, keine selbstauferlegten Verbote nötig haben; in Restaurants die Karte nach deinem Lieblingsessen durchforsten oder was neuem und es genießen; mit Freunden/ Familie essen und dabei dich unterhalten und amüsieren; im Supermarkt Cola und was Leckeres für einen Mädelsabend kaufen oder wozu du gerade Lust hast; du würdest dir andere Ziele stecken, für die dich alle bewundern, wenn du sie erreichst. Klingt das nicht schöner? Ja, ich muss da selber öfter dran denken, aber leben, wirklich leben und Lebensfreude spüren, klingt doch schön, auch wenn's gerade nicht vorstellbar ist, oder?
Hab keine kein Angst vor Recovery oder Hilfe. Du bist nicht allein und das Leben mit Lebensfreude ist die Anstrengung wert! Aber ich kann dich da echt voll verstehen...
Bitte iss etwas mehr. Nur 100 kcal. Das ist kaum was. Mindestens 250 am Tag, du kannst das, ich glaub an dich! Und hey - vielleicht wäre ein stationärer Aufenthalt ja nicht schlecht für dich? Wenn du erstmal da bist, ist die Zunahme ab einem gewissen Punkt ... notwendig und dann siehst du es ein, dass es wichtig ist und dann ist es ja vielleicht... nein bestimmt okay.
Liebe Grüße und ganz viel Kraft! Sorry, dass mein Kommentar auch so lang ist, die Länge von deinem ist nicht schlimm, manchmal gibt es so viel zu sagen...
Ich versteh das sehr gut. Ich habe die Diagnose Anorexia Nervosa schon vor ungefähr einem Jahr bekommen und fühle mich immer noch nicht 'wirklich esssgestört'. Ich schäme mich schon fast für die Diagnose. Die Angst vor dem Essen ist noch größer geworden, weil ich immer denke 'jetzt bist du essstgestört und wenn du isst nimmt dich endgültig niemand mehr ernst'.
AntwortenLöschenMittlerweile hat meine Diagnose in meinen Augen alles nur noch schlimmer gemacht. Ich hoffe sehr dir geht es damit bald besser. Und pass auf dich auf, meine Erfahrungen mit Kliniken sind nicht die Besten.
Ich finde W. einfach nur unglaublich feige in seiner ganzen Art und Weise as er mit mir abgezogen hat. Ich war heute in Therapie und meine Therapeutin stellte einen Verglich auf: ''Du suchst dir immer Menschen die nicht zu erreichen sind bzw. schwer. Die du nicht greifen kannst. Bei wem ist das noch so, denk mal nach'' - ''Bei meinem Papa.''
AntwortenLöschenIch weiß ehrlich gesagt nicht ob da ein Sinn besteht, eine tiefere Begründung, kann es mir aber ein bisschen ausmalen. Kann mir vorstelle das ich durch diese Beziehung zu meinem Vater sehr geschädigt worden bin. Keine Ahnung.
Das Schneiden, sowie das Hungern, das Abnehmen löst in uns Glücksgefühle und Erleichterung aus. So finden wir uns schon und definieren uns. Vielleicht sehen wir es deshalb als etwas, was wir brauchen. Weil wir dieses Gefühl Nirgends anders so erfahren.
Wahnsinn wozu es alles Hintergründe gibt. Ich finde, wenn man die ergründet und analysiert können wir daran arbeiten, vorher nicht.
Liebste Grüße, Jacki :*