Angst

13.01.14

Gewicht: 35,6
BMI: 14,6
Eingenommene Kalorien: 252
Verbrannte Kalorien: 600
Restliche Kalorien: 0

Heute haben wir in Spanisch ein Vokabelspiel gespielt und das fand ich schon dumm genug (wir sind nicht mehr in der Grundschule, meine Fresse), aber dann...der Preis war ein Stückchen Schokolade. Und ratet, wer gleich zwei Runden gewonnen hat? Richtig, ich. Gut gemacht, meine Kleine. Du hast den anderen gezeigt, wer besser ist. Wer schlauer ist. Wer mehr gelernt hat, weil du dich nicht mit Essen, sondern mit dem Lernstoff beschäftigt hast. Brav gemacht. Ah! Willst du das wirklich essen? Denk dran, du hast ein ganzes Kilo verloren. Willst du das wieder anfressen? Willst du schwach werden? Vor der ganzen Klasse? Hast du nicht ihre neidischen und bewundernden Blicke gesehen? Du hast gelernt, zeigst, dass du etwas kannst und deine Motivation in Sachen lernen nicht verlierst. Das muss auch beim Essen so bleiben. Sieh nur, wie die (meine Sitznachbarin) auf deine Belohnung starrt. Sieh nur, wie gierig sie ist. Gib ihr deinen Preis, na los, zeig ihr, wie stark, wie diszipliniert, wie motiviert, wie toll du bist. Mach ihr klar, dass sie fett ist, dass sie nichts kann, fütter sie, belohn sie dafür, dass sie nicht merkt, dass ich mich um dich kümmere. Jetzt zier dich nicht so, du isst die Schokolade ja doch nicht. Du weißt genau, wie widerlich das ist. Denk an die Kalorien. Unnatürlich hoch, diese Zahl, nicht wahr? Denk an das 400-Kalorien-Limit von der Diät. Damit machst du dir alles kaputt. Was soll ich sagen? Ich hab ihr meine Schokolade hin geschoben. "Kannst se haben, ich kann das nicht essen.", habe ich gesagt. Sie hat mich irritiert angesehen und ich sagte schnell: "Wegen meiner Spange und so." Damit hat sie sich zufrieden gegeben und sich gierig meinen Preis in den Mund gestopft. Widerlich. Und da wusste ich wieder einmal, warum ich so bin, wie ich bin. Weil ich mir mein Leben nicht durch Schokolade und widerlich viele Kalorien kaputt machen. Ich hab unauffällig auf ihre Speckröllchen geschielt. Ich hab die auch, ich weiß, aber wenigstens tu ich was dagegen, anstatt ihnen das zu geben, was sie wollen - nämlich Kalorien, Fett, Essen.
Ich habe wieder mal an Sport gedacht. "Warum seid ihr alle so dünn?" - Jedes Mal stellt C. die gleiche Frage. Es nervt. "Warum seid ihr so dünn und ich so fett? Guckt mich doch mal an!" Dann iss nicht mehr, du dumme Nuss., schreit Ana. Und ich nehme ihr Geschrei an. Dann sagt sie: Und, C, sie ist auch nicht dünn. Sie ist fett. Siehst du denn nicht, wie da das Fett von den Armen hängt? Wie sich ihr Bauch wölbt? Siehst du nicht das Fett an ihren Beinen wabbeln, wenn sie läuft? Sie ist genauso fett wie du., nachdem C mich ansieht und meint: "Vor allem du. Ey, man, warum bist du nur so dünn?" Bist du bescheuert? Ich bin fett. Lüg mich nicht an. Ich hasse mich, ja, aber ich hasse es noch mehr, belogen zu werden, vor allem, wenn es sowas geht, du dumme Nutte., denke ich dann, mit Tränen in den Augen - und ja, ich bezeichne sie wirklich als "Nutte". Ich bin immer wieder kurz davor, ihr von Ana zu erzählen. Einfach, weil es schön wäre, jemanden aus meiner Umfeld, in meiner Klasse zu haben, der genauso ist wie ich - benebelt von Ana. Aber ich darf nicht. Sie ist standhaft, sie wird sich wehren, mich als krank und Freak abstempeln. Also lass ich es - jedes Mal. Irgendwann wird es rausrutschen, da bin ich mir sicher. Und dann bin ich geliefert. Meine Klasse wird mich fertig machen. Meine Familie wird kaputt gehen, ich kann mir schon vorstellen, wie meine Mutter verzweifelt, meine Schwester angewidert und geschockt auf meine Knochen starrt - und vielleicht sogar ihre Zukunft sieht? Ich kann mir schon ausmalen, wie sehr Ana mich anschreien wird, ich Angst haben muss, dass sie mich verlässt oder bei mir bleibt, mich aber wie Dreck behandelt. Vor alle dem hab ich Angst. Ja, Angst. So wie jeden Morgen, jeden Mittag, jeden Abend, rund um die Uhr.